Der Geist des Titan

 

 

 

Ich war erstaunt, wie umfangreich das Terraforming auf dem Titanmond des Saturn funktioniert hatte. Bereits den dritten Tag kämpfte sich unsere Expedition den den ausgetretenen Dschungelpfad entlang. Mein Punyak, eine Art Riesenwildschwein, trottete in gleichmäßigem Tempo hinter seinen Gefährten her. Insgesamt war ich an fünfter Stelle von sieben in der Reihe.

 

Nur die Teilnehmer des Ladys and Gentlemens Club sowie der Expeditionsleiter und die Begleitärztin hatten Anspruch auf ein Reittier.. Die persönlichen Diener, der Koch, der Sattler und die Punyak Pfleger gingen zu Fuß.

 

Wenn es nach meinen schmerzenden Lenden gegangen wäre, hätte ich mich Ihnen gerne angeschlossen.

 

Das Feuer auf der empfindlichen Haut meiner ganz persönlichen Kronjuwelen ließ mich selbst als Gentleman beinahe bei jedem Schritt des Punyak aufstöhnen.

 

Beim Halt für den Fünf-Uhr-Tee gab ich es auf gegen den brennenden Schmerz anzukämpfen. Als ich von meinem Punyak mehr fiel als abstieg, gelang es mir gerade noch breitbeinig zu Lady Victoria zu staken.

 

Diese band gerade die schwarze Arzttasche vom Sattel ihres Punyaks los. Als sie mich auf sich zuhumpeln sah grinste sie wie die Katze aus Alice im Wunderland.

 

“Schmerzen?” fragte sie. In ihrer Stimme lag nicht ein Hauch Mitgefühl.

 

Ich nickte nur.

 

Sie bedeute mir, ihr die wunde Stelle zu zeigen. Ich sah von ihr zu den anderen Expeditionsteilnehmern, die gerade ihre Punyaks abluden und sich zumindest den Anschein gaben, sie würden nicht angestrengt zu mir hinüber sehen.

 

Lady Victoria seufzte, schüttelte den Kopf über so viel unnötige Scham (in ihren Augen, aber schließlich war sie Ärztin) und spannte etwa hüfthoch ein Tuch zwischen mir und den anderen. Es verdeckte meinen Körper vom Bauchnabel bis zum Oberschenkelansatz.

 

“Zufrieden?” knurrte sie.

 

Ich wagte nicht zu widersprechen und nickte. Wie alle anderen fürchtete ich mich vor der erfahrenen Ärztin, die sich bereits dem Ruhestandsalter näherte und doch ihr ganzes Leben lang an Expeditionen teilgenommen hatte. Viel mehr, als es für die medizinische Ausbildung einer Lady notwendig gewesen wäre.

 

Ich wand mich gerade soweit wie nötig aus meinen Unterkleidern.

 

Lady Victoria warf einen Blick auf meine wunde Haut und pfiff anerkennend durch die Zähne.

 

“Vielleicht bist du ja doch zäher als ich dachte.Damit wären die meisten schon ab Mittag nicht mehr weitergeritten.” knurrte sie, was bei ihr einem großen Kompliment gleichkam.

 

Sie trat mein gerade leicht angehobenes Haupt direkt wieder in den Staub als sie fortfuhr: “Es gibt einen Grund für das Techtelmechtelverbot von Sir Ian. Mit solchen wundgescheuerten Kronjuwelen kann ein Gentleman nicht reiten.”

 

Ich setzte an, um etwas zu sagen, doch sie brachte mich mit einer Geste zum Schweigen.

 

“Konntest du die Finger nicht von Lady Edith lassen?”

 

Gut, dass sie nicht wusste, dass zwar nicht meine wunde Haut, wohl aber die Bisswunde unter meinem Reithandschuh von dem Versuch stammte, die Finger nicht von Lady Edith zu lassen.

 

Lady Victoria drückte mir eine Salbe in die Hand, gab mir einen Hinweis zu ihrer Verwendung und entließ mich mit einer ungeduldigen Geste.

 

Mit gesenktem Kopf setzte ich mich zu den anderen Teilnehmern und ließ mir von einem Diener eine Tasse Tee reichen. Wie es die Etikette erforderte, versuchte niemand, mich direkt anzusehen oder meinen Besuch bei der Ärztin zu erwähnen.

 

Nur Lady Harriet beobachtete mich über den Rand ihrer Teetasse hinweg unauffällig.

 

Bevor wir für die letzte Etappe an diesem Tag aufbrachen, bat ich meinen Sattler noch um eine neue Polsterung für meinen Punyak, damit ich weiterhin reiten konnte.

 

Als ich wieder in den Sattel stieg, spürte ich sofort die Verbesserung. Das mochte auch daran liegen, dass sich in meinen Lenden ein angenehmes Taubheitsgefühl breit machte. Ich schob das auf die Wirkung der Salbe und verbot mir den Gedanken daran, dass es ein Zeichen dafür sein könnte, dass ich vielleicht nie wieder die Gelegenheit bekommen würde, die Finger nicht von einer lady zu lassen.

 

 

 

Am Abend erreichten wir mit unserem Nachtlagerplatz auch endlich das Ende des Dschungels. Die Bäume lichteten sich und die Landschaft fiel zu einer weiten, grasbewachsenen Ebene ab. Fast sofort spürte ich den angenehmen Wind auf der Haut und atmete tief die frische Luft ein.

 

Die Aufgabe unserer Expedition lag nun unmittelbar vor uns: Auf der terraformierten Ebene waren innerhalb der letzten Jahre immer wieder neue mehr als mannshohe Felsformationen entstanden. Da dies gänzlich vom vorgesehen Terraforming abwich, sollte unsere Expedition die Ursache für ihr Entstehen erforschen.

 

Durch geologische Satellitenmessungen wusste unser Expeditionsleiter Sir Ian bereits, dass sich im Inneren dieser wie Maulwurfshügel verstreuten Felsfornmationen Höhlen befanden. Morgen würden wir aufbrechen, um das Innere eines besonders großen Felsenhaufens zu erkunden.

 

Sir Ian hoffte den Beweis zu finden, dass all diese “Maulwurfshügel” unterirdisch miteinander verbunden waren.

 

Nun bin ich alles andere als ein Liebhaber davon, in einen überdimensionierten Kaninchenbau zu kriechen, doch da ich meinen Abschluss in Terraforming Ingenieurwesen anstrebte, war das hier für mich eine Pflichtexpedition.

 

Die oberste Regel des Ladys and Gentlemens Club besagte, dass wir aufgrund unseres Familienstammbaums zur herrschenden Klasse gehörten, doch daraus resultierte, dass wir der dienenden Klasse, die unseren Lebensstil ermöglichte, als Wissenschaftler, Ingenieure, Ärzte und vor allem auch Lehrer zur Verfügung stehen mussten.

 

Es war die Aufgabe der Oberschicht, zu forschen, zu konstruieren und den Arbeitern die Ergebnisse ihrer Entdeckungen und Entwicklungen in Theorie und Praxis zukommen zu lassen.

 

Von jeder Lady und jedem Gentleman wurde ein exzellenter Abschluss in seinem Fach sowie die Teilnahme an mindestens fünf fachbezogenen Expeditionen erwartet.

 

Die Diener schlugen unsere Zelte auf und ich kroch, kaum dass ich meine Schale mit Abendessen geleert hatte in meinen Schlafsack. Ich fiel in einen komaähnlichen Schlaf und vergaß sogar meine schmerzenden Lenden.

 

Geweckt wurde ich von etwas, dass offensichtlich im Begriff war, in meinen Schlafsack zu kriechen.

 

“Pssssst.” machte es.

 

Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um etwas klarer im Kopf zu werden.

 

“Pssssst.” machte es wieder und jemand schlüpfte der Länge nach in meinen Schlafsack.

 

Für einen köstlichen Moment lang dachte ich, es wäre Lady Edith. Dann brachte die nächtliche Besucherin ihr Gesicht so nah an meines, dass ich sie erkannte.

 

Es war Lady Harriet.

 

Bevor ich noch richtig wusste, wie mir geschah, löste sie bereits mit einem Geschick, dass auf viel Übung schließen ließ, die Riemen meiner Hose.

 

Leider versteifte sich buchstäblich mein gesamter Körper, was Lady Harriet als Aufforderung nahm, ihre Hand in meinen Schritt gleiten zu lassen.

 

Ich stöhnte, mehr aus Schmerz als vor Lust, denn die Wirkung der Salbe hatte offensichtlich in der Zwischenzeit nachgelassen.

 

Lady Harriet verstand es anders, denn bevor ich noch vollends wach werden konnte hatte sie mich bereits von meinen Unterkleidern befreit und schob sich auf mich.

 

Mein Stolz verbot es mir den wahren Grund meines Stöhnens zu verraten und mal ehrlich - darf man einer Lady wirklich so einen Wunsch abschlagen?

 

Also fügte ich mich in mein Schicksal und freute mich an Lady Harriets geschickten Bewegungen.

 

Nach unserer vom Expeditionsleiter ausdrücklich untersagten Aktivität gab mir Lady Harriet einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwand ohne ein Wort. Für einen Augenblick glaubte ich geträumt zu haben, doch dann setzten die Schmerzen meiner wundgescheuerten Lenden wieder ein. Ich griff nach der Salbe, die in meiner Tasche neben dem Schlafsack lag und cremte mich erneut ein. Bei jeder Berührung biss ich die Zähne aufeinander und dachte: Das wars wert.

 

 

 

Nach einer für mich zu kurzen Nacht standen wir am Morgen vollzählig mit unserem Gepäck bereit: Die Ladys Edith und Harriet (die unverschämt ausgeschlafen wirkte), Lord Gustaf, Charles (der den Titel “Lord” in meinen Augen nicht verdiente und ich, sowie unser Expeditionsleiter Sir Ian, der gerade die letzten Anweisungen gab.

 

Heute würden wir etwa fünf Kilometer weit in die Grasebene hinein wandern. Dort gab es einen besonders großen “Maulwurfshügel aus dunkelbraunem Gestein. Die innen liegende Höhle würden wir erkunden.

 

Lady Victoria als Ärztin würde mit den Dienern im Lager zurückbleiben, damit uns jemand zur Hilfe kommen könnte, falls etwas schief ging.

 

 

 

Der Weg durch das hohe Gras mit unseren schweren Rucksäcken war anstrengender, als ich es erwartet hatte. Immer wieder mussten wir größeren Felsbrocken ausweichen, die versteckt im hohen Gras lagen. Einmal mussten wir sogar eine halbhohe Hügelkette überklettern, die vom Dschungel aus nicht zu sehen gewesen war.

 

Insgesamt brauchten wir mehr als drei Stunden für den kurzen Weg. An den Felsen angekommen erkannten wir, dass es sich um einen Haufen von mehr als vier Metern Höhe handelte. Es sah aus, als hätte ein gigantischer Vogel einen riesigen Haufen gemacht.

 

Lady Edith und Lord Gustaf machten sich sogleich daran, den Hügel zu vermessen. Sir Ian legte die Kletterausrüstungen bereit und überprüfte Seile und Haken. Dann suchte er nach einem Eingang. Er ging viermal um den ganzen Hügel herum, bevor er endlich an der Seite einen schmalen Spalt entdeckte.

 

Er forderte mich auf, ihm zu helfen und gemeinsam schafften wir es, den Spalt mit Hilfe von Spitzhacken so zu verbreitern, dass ein Mensch so gerade hindurch schlüpfen konnte.

 

Nachdem Lady Edith und Lord Gustaf die Vermessung abgeschlossen hatten, gingen wir nacheinander in die Höhle hinein.

 

Ich betrat den Hügel als Letzter.

 

Von dem, was ich im Inneren zu sehen bekam, stockte mir der Atem. So sehr, dass ich sogar meinen schmerzenden Schritt vergaß.

 

Die Höhle im Inneren war riesig. Ich hatte den Eindruck, in einer Kathedrale zu stehen. Ohne dass ich meine Stirnlampe eingeschaltet hatte, konnte ich die Konturen der Seitenwände deutlich erkennen. Über mir erhob sich die Felsendecke wie ein Sternenhimmel. In der ganzen Kuppel verteilt befanden sich winzige leuchtende Kristalle. Jeder für sich leuchtete nur schwach, doch alle zusammen gaben so viel Licht, dass wir unsere Lampen nicht benötigten.

 

“Es handelt sich um Biolumineszenz.” erklärte Sir Ian leise. Wie wir alle hatte er das Gefühl. flüstern zu müssen.

 

“Bei meiner letzten Expedition in eine anderer dieser Höhlen habe ich einige dieser Kristalle mit als Probe ins Labor genommen. Im Inneren leben ein Pilz und eine Alge in Symbiose. Die Alge erzeugt Nährstoffe für den Pilz, der Pilz erzeugt die Biolumineszenz, aus der die Alge die Nährstoffe produziert.”

 

“Ein perfektes System.” flüsterte Lady Edith. In ihrer Stimme klang so viel Ehrfurcht mit, dass ich eine Gänsehaut bekam.

 

“Es ist kalt hier drinnen.” bemerkte Charles und zog sich seine Jacke über.

 

Wir anderen taten es ihm gleich. Nach der trockenen Luft draußen war es hier drinnen überraschend kühl und feucht. Die Luft roch wie Algen am Meer.

 

Sir Ian bedeutete uns, weiterzugehen. “Kommt mit. Wir erforschen die Höhle und schauen, ob ich Recht habe mit dem Höhlensystem unter der Oberfläche.”

 

Wir begannen die Höhle systematisch zu erkunden und suchten nach weiteren Gängen.

 

“Wie könnte denn ein solches Höhlensystem entstanden sein? Durch den Terraforming-Prozess?” fragte ich.

 

Sir Ian nickte. “Es kann sein, dass der Terraforming Prozess nicht weit genug unter die Oberfläche gedrungen ist. Oder dass es während der Umformung zu geologischen Instabilitäten gekommen ist.”

 

“Oder diese Höhlen waren schon immer hier und das Terraforming hat sie überdeckt.” sagte Lady Edith.

 

Ich sag sie überrascht an. “Wie kommt ihr darauf?”

 

Sie sah mich an und lächelte.

 

“Diese Hügel hier sind erst in den letzten fünf Jahren entstanden. Wir befinden uns hier auf Titan in der letzten Phase des Terraforming-Prozesses. In etwa fünf Jahren ist er vollständig abgeschlossen. Es sollte keine großen Veränderungen mehr auf der Oberfläche geben. Lediglich die Atmosphäre und das Klima müssen sich vor der geplanten Besiedelung noch stabilisieren. Das hier” sie wies auf die Höhlenwände um sie herum “ist vollkommen untypisch und bisher noch in keinem Terraforming-Prozess aufgetreten.”

 

Ich dachte über ihre Worte nach.

 

“Ihr meint, diese Felsenhügel sind etwas, dass sich von unterhalb der Oberfläche hochdrückt? Sozusagen von unterhalb der Terraforminggrenze?”

 

Lady Edith nickte.

 

“Das ist eine sehr gewagte Theorie.” lachte Sir Ian. “Lady Edith ist jetzt schon das vierte Mal auf Titan, um genau dieses Phänomen zu erforschen.”

 

Ich sah sie von der Seite an. Das war interessant zu wissen. Jedenfalls wusste ich jetzt, wie ich näher mit ihr ins Gespräch kommen konnte.

 

“Seid Ihr auf Terraforming spezialisiert?”

 

Sie schüttelte den Kopf. “Ich arbeite auf dem Gebiet der Biokommunikation.”

 

Ich überlegte gerade eine schlaue Entgegnung, da rief Lord Gustaf: “Hier ist ein Durchgang!”

 

Tatsächlich lag vor uns ein schräg nach unten verlaufender Gang. Wir entrollten unsere Seile und machten uns an den Abstieg. Ich schätzte, dass wir etwa zehn Meter in die Tiefe hinabstiegen. Endlich am Ende des Ganges angekommen, befanden wir uns in einer länglichen Höhle, die nur etwa zwei Meter hoch war, dafür aber etwa fünfzehn Meter lang.

 

Sir Ian und Lady Edith übernahmen die Führung. Mehr als zwei Stunden lang wanderten wir weiter. Von dieser Höhle in die nächste und wieder in die nächste.

 

Schließlich mussten wir erschöpft innehalten.

 

“Wir schlagen hier unser Lager auf.” sagte Sir Ian. “Den Rest des Nachmittags nutzen wir, um proben zu nehm,en und die Höhle zu kortographieren.”

 

Ich war mit diesem Vorschlag ganz und gar nicht einverstanden, doch ich wusste, dass ich keine Wahl hatte.

 

“Wie tief unten sind wir?” fragte ich Sir Ian.

 

“Wir befinden uns jetzt an der Terraforming-Grenzlinie. Etwa fünfzig Meter Tiefe.” antwortete Lady Edith.

 

Sie wies auf einen schräg nach unten verlaufenden Gang ein paar Meter entfernt.

 

“Wenn wir dort hinunter gehen erreichen wir den ursprünglichen Titan, wie er vor dem Terraforming gewesen ist.”

 

Ihre Stimme bekam einen schwärmerischen Klang.

 

“Morgen Lady Edith. Heute müssen wir uns alle ausruhen.” bremste Sir Ian sie.

 

Sie schlugen ihr Lager auf. Beim Essen drehten sich die Gespräche um die gesammelten Proben.

 

Ich zog mich früh in meinen Schlafsack zurück. Heute würde ich vermutlich keinen Besuch erhalten, das Risiko von Sir Ian erwischt und die Teilnahme an der Expedition aberkannt zu bekommen war einfach zu groß.

 

 

 

Obwohl ich Lady Harriet tief schlafend wähnte, wurde ich mitten in der Nacht durch ein schabendes Geräusch geweckt. Als ob sich jemand über den Boden schob. Ich öffnete die Augen und sah mich um. Am Gang nach unten, den wir am nächsten Tag erforschen wollten, schob sich gerade jemand bäuchlings hindurch in die darunter liegende Höhle.

 

Jemand mit eindeutig weiblichen Rundungen.

 

Ich war auf einmal hellwach. Ohne groß zu überlegen wickelte ich mich aus meinem Schlafsack, zog mir Kacke und Schuhe über, schnappte mir meine Stirnlampe und folgte der Shilouette in den Gang.

 

Bereits einige Augenblicke später bereute ich es.

 

Der Gang war eng und wurde nach unten hin immer enger. Bald war ich vollständig von Felsen eingeschlossen und hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Dennoch trieb mich meine Neugierde weiter vorwärts.

 

Nach einer schier endlos erscheinenden Zeit spürte ich, wie der Gang sich weitete. Beinahe wäre ich abgerutscht, als er plötzlich einen steilen Knick nach unten machte. Bevor ich mich noch richtig festhalten konnte, rutschte ich das Letzte Stück auf meinem Allerwertesten hinunter. Wie ein Sack Punyak Futter plumpste ich auf den Höhlenboden. Ich hörte ein erschrockenes Zischen.

 

“Lady Harriet?” fragte ich in die Dunkelheit.

 

Zunächst kam keine Antwort. Doch dann seufzte jemand. “Ich bin es, Lady Edith.”

 

Ich zuckte zusammen. Damit hatte ich nicht gerechnet.

 

“Ich bin nicht hier, weil ich jemanden für  ein Schäferstündchen brauche.”

 

Ich nickte im Dunkeln. “Das habe ich nicht erwartet.” In dem Augenblick als ich es aussprach wusste ich, dass es stimmte. Die ganze Expedition über hatte ich ein Auge auf Lady Edith geworfen, doch hier in dieser Höhle, die vermutlich noch nie eine Expedition betreten hatte schien es nicht richtig zu sein, als würde man mit so etwas Profanem wie Sex einen heiligen Ort entweihen.

 

Ich berührte eine der Wände. Sie fühlte sich kalt und feucht an. Der Fels war rauh. Plötzlich leuchteten unter meiner Hand die gleichen leuchtenden Kristalle auf wie oben in der Eingangshöhle.

 

Ich zog die Hand zurück und sie erloschen wieder.

 

“Was ist das?” flüsterte ich.

 

Lady Edith lachte leise. “Macht es nochmal.”

 

Zögernd legte ich meine Hand erneut auf den Felsen. Wieder leuchteten die Kristalle auf. Ich wanderte mit meiner Hand ein Stück nach rechts. Die Lichter schienen meiner Hand zu folgen. Ich legte meine zweite Hand auf den Felsen. Auch unter ihr leuchteten die Kristalle auf.

 

“Was ist das?” flüsterte ich.

 

Lady Edith stand mit einem Mal ganz nah bei mir. “Es kommuniziert.” flüsterte sie. In ihrer Stimme lag so viel Faszination, dass ich auf einmal genau wusste, warum sie sich heimlich hier herunter geschlichen hatte.

 

“Ihr habt es entdeckt, richtig? Schon auf einer früheren Expedition.”

 

Lady Edith nickte. Im Schein der Kristalle konnte ich die Konturen ihres fein geschnittenen Gesichts erkennen.

 

“Auf meiner ersten Expedition bereits entdeckte ich, dass sich das Leuchten der Kristalle verändert, je nachdem, wie viele Menschen in einer Höhle zusammen kommen. Ist es eine Gruppe, leuchten entweder alle oder gar keiner auf. Ist man aber allein, gibt es Lichtwechsel, die nach bestimmten Mustern ablaufen.”

 

“Was bedeutet das?” fragte ich.

 

“Es ist eine Sprache.” Lady Edith lachte wie ein Kind, dass sein Weihnachtsgeschenk auspackt.

 

“Ich bin hierher gekommen, weil es nicht kommuniziert, wenn es mehrere Menschen auf einmal sind. Ich möchte diese Sprache entschlüsseln und das Wesen kennenlernen.”

 

Ich strich mit beiden Händen über die Wand. Das Leuchten der Kristalle folgte mir. Als würde ich sie durch meine Berührung einschalten.

 

“Was will es uns sagen?” fragte ich.

 

Lady Edith schüttelte den Kopf. “Ich bin mir noch nicht sicher. Es ist an die Oberfläche gekommen, mit diesen Felsformationen. Es hat sich von unterhalb der Terraforming Zone nach oben gegraben. Vielleicht ist es ein Überlebensinstinkt.”

 

“Ihr meint, wir haben es durch das Terraforming in seiner Existenz bedroht?”

 

Sie nickte. “Vielleicht ist es auch nicht nur ein, sondern mehrere Wesen.”

 

Ich dachte darüber nach.

 

Plötzlich kam mir eine Idee.

 

“Lasst es uns ausprobieren!” rief ich. Ich nahm Lady Ediths Hand in meine. Sie schien sie zuerst zurückziehen zu wollen, doch dann sah sie in meine Augen und lächelte zustimmend. “In Ordnung.” hauchte sie.

 

Ich legte meine Hand auf den Felsen. Als die Kristalle aufleuchteten, schaltete ich meine Stirnlampe ein. Dann nahm ich die Hand weg und löschte die Lampe.

 

Ich bedeutete Lady Edith, das gleiche zu tun.

 

Zögernd legte sie die Hand auf den Felsen und schaltete ihre Stirnlampe ebenso wie ich erst ein und dann wieder aus, als sie ihre Hand zurückzog.

 

“Jetzt machen wir es anders.”

 

Ich legte beide Hände auf den Felsen, schaltete meine Stirnlampe ein, löste die Hände und löschte das Licht.

 

Lady Edith tat es mir gleich.

 

“Was soll das?” flüsterte sie.

 

“Ich will ihm begreiflich machen, dass wir zwei Wesen sind, aber vier Hände.”

 

Ich forderte sie auf, mit mir gleichzeitig eine Hand an den Felsen zu legen. Sie tat es und wir schalteten beide unsere Stirnlampen ein.

 

Dann wiederholten wir das noch einmal, dieses Mal legten wir vier Hände auf den Felsen.

 

Als wir dieses Mal die Stirnlampen löschten und die Hände zurückzogen, blieb es erst einmal dunkel.

 

“Glaubst du, es hat uns verstanden?” flüsterte Lady Edith.

 

Ich antwortete nicht, da ich kaum zu atmen wagte.

 

Endlose Sekunden standen wir im Dunkeln.

 

Plötzlich leuchteten vor uns einzelne Kristalle auf. Dann immer mehr. Und noch mehr. Stroboskopartig flackerten die Lichter über die gesamte Höhlenwand.

 

Lady Edith lachte auf. “Das ist ja verrückt! Das ist bei den anderen Expeditionen nicht passiert.”

 

Ich sah, wie glücklich sie war und mit einem Mal wurde mir klar, dass ich sie immer so glücklich sehen wollte. Dass sie sich über mich freute.

 

“Schaut nur, das ist ein Muster!” rief sie und wies auf die Felswand.

 

Vor unseren Augen entstand ein Bild. Erst sah es aus wie ein Ball. Dann entstanden aus Lichtpunkten Ringe darum. Dann erschienen kleinere Kugeln.

 

Eine strahlte besonders hell.

 

Ich überlegte noch, woher ich das kannte, da hatte Lady Edith es schon begriffen: “Das ist der Saturnmond! Das ist dieser Mond hier! Es zeigt uns seine Heimatwelt.”

 

Sie klatschte in die Hände und drehte sich um sich selbst als sei sie ein junges Mädchen, dass beim Schlagball gewonnen hätte. In diesem Augenblick hätte ich sie gerne in meine Arm,e gezogen.

 

“Wir müssen ihm antworten.” Sie suchte hektisch in ihren Taschen nach einem Stück Papier. Als sie eines gefunden hatte, reichte sie es mir rüber.

 

“Hier. Wir schneiden unser Sonnensystem aus.”

 

“Was?”

 

Ich musste wohl derart konsterniert geblickt haben, dass sie es mir erklärte: “Wir schneiden eine ungefähre Schablone unseres Sonnensystems auf und zeigen ihm die Heimatplaneten der Menschen, Erde und Mars.”

 

Ich begriff. “Dann leuchte wir mit der Taschenlampe hindurch und projizieren es so an die Wand!”

 

Lady Edith nickte, ihre Wangen röteten sich vor Aufregung.

 

Wir machten uns an die Arbeit. Als wir schließlich die Projektion an der Wand sahen musste ich zugeben, es war nicht perfekt, aber erkennbar. Wir ließen die Projektion für etwa eine Minute aufleuchten. Dann löschten wir das Licht und warteten erneut.

 

Wir mussten nicht lange warten. Dieses Mal entstand auf der Felswand ein ganz anderes Bild: Piktogramme, die wie Höhlenmalereien anmuteten zeigten unverkennbar Menschen.

 

Menschen auf Punyaks. Menschen mit Zelten. Menschen in einer Höhle voller leuchtender Kristalle wie diese.

 

Lady Edith ergriff meine Hand. “Wir haben eine Verbindung zu ihm gefunden.” flüsterte sie.

 

Sie nahm ein neues Stück Papier und führte einen geschickten Scherenschnitt aus. Heraus kam eine lange Kette piktographischer Menschen. Wieder warfen wir sie als Projektion an die Wand.

 

Dieses Mal dauerte die Dunkelheit nur Sekunden, bevor ein neues Bild entstand.

 

“Großer Gott.” flüsterte Lady Edith und zerdrückte mir fast meine Hand.

 

“Ist es das?” flüsterte ich. “Ist es das Selbstbildnis dieses Wesens?”

 

Lady Edith wiegte den Kopf. “Entweder ein Selbstbildnis oder die Art, wie wir es sehen.”

 

Ich starrte auf die Felswand. “Oder wie wir es vor labnger Zeit gesehen haben.

 

Vor uns war aus leuchtenden Kristallen das Bild des Göttervaters Zeus entstanden.

 

 

 

Wir blieben zwei weitere Tage in der Höhle, um das Wesen und die Kommunikation mit ihm zu erforschen. Als wir aufgrund unserer zuneige gehenden Vorräte an die Oberfläche aufbrechen mussten, war es Lady Edith und Lord Gustaf gelungen, dem Wesen die ersten Buchstaben unserer Schriftsprache beizubringen.

 

Noch Tage später konnte ich kaum glauben, was wir erlebt hatten. Doch als ich auf dem Rückflug vom Titanmond zum Mutterschiff zu Lady Edith hinübersah und sie mich anlächelte wusste ich, dass es real gewesen war.

 

Und dass wir beide gemeinsam hierher zurückkehren würden.